Inhibitoren: Proteine als Angriffspunkte für Medikamente
Protease-Inhibitoren-Medikamente zielen auf Proteine ab, um eine gewünschte Reaktion im Körper zu bewirken. Dabei passt der Protease-Inhibitor exakt ins Protein, wie ein Schlüssel ins Schloss. So kann es die Proteinfunktion entweder aktivieren oder blockieren.
Inhibitoren sind Medikamente, die etwas blockieren: Dazu zählt beispielsweise das erste oral verfügbare Medikament, das speziell für die Behandlung von COVID-19 entwickelt und Anfang 2022 in Europa zugelassen wurde. Es unterbindet die Vervielfältigung des SARS-CoV-2-Virus in der infizierten Zelle. Ohne Medikament bildet das Virus eine Proteinkette, die dann in Einzelteile zerschnitten wird. Die „Schere“ ist ein Protein namens Protease. Das Medikament blockiert aber diese Schere durch den Protease-Inhibitor. So kann sich das Virus in der Zelle nicht weiter vermehren. Die Erkrankung nimmt keinen schweren Verlauf.
Beim SARS-CoV-2-Virus gab es zwei mögliche Angriffspunkte: entweder das Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus oder die Virus-Replikationsmaschinerie innerhalb der befallenen Zelle. Spike-Proteine neigen zu Mutationen, das heißt, ein Medikament, das Spike-Proteine blockiert, könnte bei entsprechenden Mutationen unwirksam werden, weil es nicht mehr an das aktive Zentrum des Spike-Proteins passt.
Wir vermuteten, dass, wenn wir auf das Hauptpro- tease-Enzym (Mpro) abzielen würden, dieses Problem nicht auftreten würde, da es sich um ein essenzielles Protein handelt, das es nur bei diesem Virus gibt. Außerdem hatten wir bereits präklinische Daten von einem Protease-Inhibitor, den wir 2003 als potenzielle Behandlung für das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS) entwickelt hatten. Dieser Wirkstoff hat im Labor gut funktioniert, konnte aber nur als Infusion verabreicht werden. Wir wollten etwas entwickeln, das Patient:innen zu Hause als Tablette einnehmen und so einen Krankenhausauf- enthalt vermeiden können.
Es ist in der Familie der Coronaviren sehr stabil – wir gehen deshalb davon aus, dass unser Wirkstoff durch neu auftretende Virusvarianten kaum negativ beeinflusst wird. Bislang sehen wir Hinweise dafür, dass das Medikament gegen verschiedene Arten von Coronavirus-Infektionen wirken kann.
Den aktiven Wirkstoff hatten wir vier Monate nach seiner Entdeckung bereits erstmals hergestellt. Die rasche Entwicklungszeit wurde möglich, da wir unser langjähriges Know-how über die Herstellung von Molekülen mit künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernverfahren kombiniert haben. Wir hatten beispielsweise die vielversprechendsten Moleküle schnell durch virtuelles Screening ausgewählt. Maschinelles Lernen sagte anhand von Millionen von Datenpunkten voraus, welche Moleküle die besten oralen Arzneimitteleigenschaften haben könnten. Wir können heute unsere wichtige Bibliothek mit etwa 4,5 Milliarden Substanzen in weniger als 48 Stunden screenen.
Nachdem wir das Molekül ausgewählt hatten, führten wir die nächsten Schritte parallel durch, statt wie früher nacheinander. Wir stellten eine ausreichende Menge des Moleküls für klinische Studien her, führten toxikologische Studien durch, sammelten zusätzliche präklinische Daten und bereiteten die Phase-III-Studien vor – und das alles, bevor wir mit den Phase-I-Studien begonnen hatten. Sobald wir nachgewiesen hatten, dass das Molekül gut verträglich ist und als Tablette verabreicht werden kann, weil aus- reichend Wirkstoff in den Blutkreislauf gelangt, haben wir die Wirksamkeitsstudien gestartet. Von der Herstellung des Moleküls bis zur Erteilung der Notfallgenehmigung vergingen 18 Monate.