Gelebte Vielfalt macht Unternehmen erfolgreicher. Doch teilweise bleibt die Diversität der Belegschaft in Unternehmen ein Lippenbekenntnis. Worauf kommt es an, welche Erfahrungen liegen vor? Auf dem diesjährigen Pfizer Diversity-Talk „Von Vielfalt zum Erfolg: Das Potenzial von Inklusion entfesseln“ sprachen Expert:innen darüber, wie Unternehmen – und auch jede:r einzelne – sich für mehr Vielfalt in Deutschland einsetzen können.
Manchmal ist es nur die Art, wie sich jemand die Hand vor den Mund hält. Oder im Bewerbungsgespräch auf die Jury zugeht. Es sind Codes, aus denen Führungskräfte Schlüsse ziehen – meist sind sie sich dessen nicht einmal bewusst. Für ihr Gegenüber kann das zum Nachteil werden, wie es beispielsweise Natalya Nepomnyashcha erfahren hat: Geboren in Kiew, mit 11 Jahren nach Deutschland gezogen, eine „Hartz-IV-Kindheit“ in Bayern, wie sie sagt. Der Weg aufs Gymnasium blieb ihr verwehrt, sie schloss die Realschule als Schulbeste ab, studierte in Großbritannien ohne Abitur und hatte, zurück in Deutschland, auch nach 80 Bewerbungen noch keinen Job.
„Soziale Herkunft sieht man nicht und trotzdem kann man dafür diskriminiert werden“, sagt Nepomnyashcha, die schließlich für eine große Unternehmensberatung arbeitete und nebenberuflich das Netzwerk Chancen gründete. Das soziale Unternehmen bietet ein ideelles Förderprogramm für soziale Aufsteiger:innen zwischen 18-39 Jahren und kollaboriert mit potentiellen Arbeitgebenden. Es seien die versteckten Codes, das fehlende Netzwerk und der „abweichende“ Lebenslauf, die dafür sorgen, dass soziale Herkunft zum Nachteil wird, trotz aller Qualifikation. „Großbritannien ist uns hier meilenweit voraus“, berichtet Nepomnyashcha. Über contextual recruiting werde beispielsweise gezielt hinter den Lebenslauf geschaut. Welchen Weg musste jemand gehen, um dahin zu kommen, wo er oder sie heute steht? Welche Widerstände mussten überwunden werden?
„Die Macht von Stereotypen ist enorm“, bestätigt Dr. Bertolt Meyer, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der TU Chemnitz. Das Kritische: Schon kleine Diskriminierungseffekte summieren sich auf. „Ein bis fünf Prozent ‚Bias‘ reichen, dass am Ende weniger als 30 Prozent der Führungskräfte Frauen sind“. Mit jeder Tür, die sich auf einer Hierarchieebene schließt, bleiben sämtliche dahinter zu. Hinzu kommt das Phänomen der Intersektoralität: Oft werden Menschen gleich wegen mehrerer Merkmale diskriminiert, etwa für ihre soziale und ethnische Herkunft.
Und so sind viele Unternehmen und Verwaltungen in Deutschland trotz aller Bekenntnisse noch wenig divers, vor allem je näher es an die Unternehmensspitze geht. Der Deutsche Diversitätsmonitor attestiert der deutschen Wirtschaft Stillstand, denn nur knapp jedes vierte Unternehmen unterfüttert sein Vielfalts-Bekenntnis mit konkreten Maßnahmen. Ebenfalls nur etwa jedes Vierte macht Vielfalt zur Chef:innensache. In den 40 DAX-Unternehmen sind Frauen an der Spitze signifikant unterrepräsentiert.
Ana-Cristina Grohnert hat als ehemalige Personalvorständin der Allianz Deutschland und Mitgründerin der Charta der Vielfalt (s. Infobox) schon viele Instrumente implementiert, um Vielfalt zu fördern: Teilzeit, Jobsharing, Unternehmenskontakt mit Mitarbeiter:innen während der Elternzeit. Allerdings: Solche Instrumente reichen nicht. „Wir müssen vor allem auch das Mindset sichern“, so die deutsche Top-Managerin. „Wir haben es bislang nicht geschafft, Führungskräfte in die Rolle zu versetzen, dass sie auch dann für Vielfalt eintreten, wenn es schwierig wird.“ A und O sei, dass Führungskräfte sich selbst reflektieren könnten: Was sind die eigenen Trigger? Warum fällt es einem schwer, gegen Diskriminierung das Wort zu erheben? Schafft man selbst eine Unternehmenskultur, in der Menschen sein können, wie sie sind? Oder müssen sich die Mitarbeitenden den „Unternehmensmantel“ anziehen?
Charta der Vielfalt
Die Charta der Vielfalt wurde von vier Unternehmen gegründet und setzt sich als Selbstverpflichtungs-Initiative von Arbeitgebern dafür ein, dass ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld geschaffen wird. Alle Mitarbeiter:innen sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft.
Dass das eine Reise ist und bleibt, erlebt auch Inga Hartleb, Director People Experience bei Pfizer in Deutschland. „Verhaltensänderungen brauchen Geduld und das gewünschte Verhalten muss immer wieder vorgelebt werden, vor allem von den Führungskräften. “ Dabei macht sie schon viele Zeichen eines Wandels aus. Gemischte Führungsteams geben ein anderes Gefühl, zunehmend steige auch die Bereitschaft von Mitarbeitenden, ihr Diversitätsmerkmal zu benennen. „Nicht jede Vielfaltsdimension ist sichtbar“, macht Hartleb ein Beispiel. „Die Offenheit von Mitarbeitenden, diese Facetten von sich zu teilen, steigt.“
Zukunftsforscher Tristan Horx, Vertreter der Generation Y (Geburtsjahrgänge 1980-1996), setzt auf die Zeit: Der demografische Überhang der Boomer-Generation (1945-1964) werde 2040 aus der Arbeitswelt verschwunden sein und damit auch ein meritokratisches System der Führung. „Wir kommen von der Arbeitswelt der Industrie in ein digitales kreatives Zeitalter. Das verschiebt auch die Rahmenbedingungen zwischen Jung und Alt“, so Horx. Junge Menschen würden schon heute nicht mehr „in die Unternehmenswurst gedrückt“, eine Firma, die Dutzende Bewerbungen auf eine Stelle bekomme, könne sich gratulieren. Auch formulieren junge Arbeitnehmer:innen klar, was sie von ihren Arbeitgeber:innen erwarten. Zwei Wochen Probezeit – das fordern heute eher die Bewerber:innen als die Unternehmen. Grundsätzlich appelliert Tristan Horx an das Selbstvertrauen in die eigene Kultur und an einen „Jammerverzicht“. „Don’t let the perfect be the enemy of the good”, zitiert er ein englisches Sprichwort.
Doch ganz allein wird es die Zeit nicht richten. „Wir müssen disruptiv handeln“, fordert Ana-Cristina Grohnert: Quoten, Ziele, Normen setzen – und ihre Erreichung ans Gehalt von Führungskräften koppeln. „Verhalten, das auf Stereotypen basiert, kriegt man nur durch Normen und Regeln weg“, sagt auch Professor Bertold Meyer. Normen hätten zwar keinen Einfluss auf die jeweiligen Stereotype selbst. Aber sie bewirken ein anderes Verhalten. „Normen können aber nur den Rahmen bilden. Letztlich kommt es auf die Selbstverantwortung jedes einzelnen im Unternehmen und der Gesellschaft an“ meint Inga Hartleb.
Die zitierten Expert:innen sprachen beim diesjährigen Diversity-Talk von Pfizer in Deutschland Mitte Oktober in Berlin. Die Veranstaltung wurde von den Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschen Diversity, Equiy & Inclusion (DE&I)-Team organisiert, das sich für Vielfalt im Unternehmen einsetzt. Die Veranstaltung ist Teil einer Reihe mit dem Ziel, möglichst viele Perspektiven zu Wort kommen zu lassen.